Der Führer (2/3)
Am nächsten Tag versammelte sich alles, was den Mut besaß, mit auf den weiten Weg zu gehen. Mehr als zweihundert Familien kamen zur verabredeten Stelle, und nur wenige blieben daheim zurück, um den alten Herd zu hüten.
Es war ein trauriges Bild, dieser Haufen elender Menschen, die die bittere Not zwang, das Land, in dem sie geboren worden waren und in dem die Gräber ihrer Vorfahren lagen, zu verlassen. Ihre Gesichter waren hager, erschöpft, von der Sonne verbrannt. Das Leid vieler mühevoller Jahre hinterließ Spuren auf ihnen, verlieh ihnen einen Ausdruck des Elends und bitterer Verzweiflung. Aber in diesem Augenblick spiegelte sich in den Augen der erste Strahl der Hoffnung – aber auch des Heimwehs. Manchem Greis floß eine Träne über das verrunzelte Gesicht, er seufzte verzweifelt, schüttelte den Kopf mit einer bösen Vorahnung und hätte lieber noch ein paar Tage abgewartet, bis auch seine Knochen in diesem Karst hätten ruhen können, statt nach einer besseren Heimat zu suchen. Viele Fraün stimmten laute Klagelieder an und verabschiedeten sich von den Verstorbenen, denen sie die Gräber nun selbst überließen.
Die männer rissen sich zusammen, und um nicht auch weich zu werden, schrien sie:
„Verdammt, wollt ihr denn weiter in dieser verfluchten Gegend hungern und in diesen Löchern hausen?“ Aber auch sie hätten am liebsten diese ganze verfluchte Gegend und ihre armseligen Häuschen mitgenommen, wenn es irgendwie möglich gewesen wäre.
Es war ein Lärmen und Schreien, wie überall, wo große Menschenmassen versammelt sind. Männer wie Fraün und auch die Kinder, die von den Müttern in Wiegen auf dem Rücken getragen wurden, kreischten durcheinander. Auch das Vieh war unruhig geworden. An Vieh hatten sie wenig. Hier und da ein Kalb. Dann ein magerer, struppiger Klepper mit großem Kopf und dicken Beinen, den sie mit allen möglichen groben Decken, Beuteln oder je zwei Säcken über den Saumsattel beladen hatten, so daß das arme Tier unter der Last hin und her wankte; doch hielt es sich aufrecht und wieherte. Andere hatten Eselchen beladen.
Freche Kinder zogen Hunde an Ketten hinter sich her. Wirr mischten sich Reden, Schreien, Fluchen, Wehklagen, Weinen, Kläffen; auch ein Esel machte zwei-, dreimal i-a, i-a, i-a.
Nur der Führer brachte kein Wort hervor, als ginge ihn die ganze Schar und das Durcheinander nichts an. Ein echter Weiser!
Er saß unbeweglich, gesenkten Kopfes, schwieg und dachte. Nur ab und zu spuckte er, das war alles. Aber gerade durch sein sonderbares Verhalten wuchs seine Beliebtheit so, daß jeder bereit gewesen wäre, für ihn, wie man sagt, durchs Feür zu gehen. Häufig konnte man etwa folgendes Gespräch hören:
„Wir können glücklich sein, einen solchen Menschen gefunden zu haben. Hätten wir uns ohne ihn auf den Weg gemacht – Gott behüte – das wäre eine heillose Geschichte geworden, es wäre aus mit uns! Das ist ein kluger Kopf, mein Lieber! Leider schweigt er nur. Noch kein Wort hat er gesprochen!“ sagte einer und sah mit Ehrfurcht und Stolz auf den Führer.
„Was sollte er auch sagen? Wer viel reder, denkt wenig. Kluger Mensch! – Selbstverständlich! Er schweigt nur und denkt nach“, fügte ein anderer hinzu, und auch er blickte voll Ehrfurcht auf den Führer.
„Überlegt, es ist nicht leicht, so viele Menschen zu führen! Er muß denken, wenn er sich eine solche Pflicht aufgebürdet hat!“ sagte wiederum der erste.
Es kam die Zeit zum Aufbruch. Sie warteten ein wenig, weil es vielleicht doch noch jemand hätte einfallen können, sich ihnen anzuschließen. Aber als keiner mehr kam, wollten sie nicht mehr länger zögern.
„Wollen wir losziehen?“ fragten sie den Führer.
Er stand auf, ohne ein Wort zu sagen.
Die mutigsten Männer reihten sich sofort um ihn, ihm beizustehen und ihn zu beschützen, falls ihm eine Gefahr drohen sollte.
Der Führer zog energisch die Augenbraün zusammen, ging gesenkten Kopfes einige Schritte, schwang würdevoll den Wanderstab vor sich hin, und das Volk zog ihm nach und schrie wieder und wieder: „Er lebe hoch!“
Der Führer ging noch einige Schritte, und stieß gegen den Zaun vor dem Gemeindegebäude. Da blieb er natürlich stehen, die Masse mit ihm. Der Führer wich ein Stückchen zurück und klopfte zwei-, dreimal mit dem Stock gegen den Zaun.
„Was machen wir jetzt?“ fragten sie.
Er schwieg.
„Was – was sollen wir tun?“
„Reißt den Zaun nieder!“ – „Recht so, los!“
„Siehst du denn nicht, daß er mit dem Stock ein Zeichen gibt, was zu tun ist?“ schrien diejenigen, die in der Nähe der Führers standen.
„Da ist die Tür – dort ist tie Tür!“ schrien die Kinder und zeigten auf die Tür, die gegenüber lag.
„Pssst, still Kinder!“
„Gott sei mit uns – was geht hier vor sich?“ bekreuzigten sich einige Fraün.
„Haltet den Mund, er weiß, was zu tun ist. Weg mit dem Zaun!“
Im Nu barst der Zaun, als wäre er nie dagewesen. Sie stiegen über ihn hinweg.
Kaum, daß sie hundert Schritte gegangen waren, fiel der Führer plötzlich in einen großen Dornenstrauch und blieb liegen. Mit Mühe und Not riß er sich heraus und begann mit dem Stock bald nach links, bald nach rechts zu schlagen. Der Zug stockte.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“ schrien die hinteren.
„Sofort den Dornenstrauch durchbrechen!“ schrien die Vornestehenden zurück.
„Da ist der Weg, hinter dem Dornenstrauch! Da ist der Weg, hinter dem Dornenstrauch!“ riefen die Kinder und mit ihnen die aus dem Hintergrund.
„Da ist der Weg – da ist der Weg!“ äfften zornig die Männer neben dem Führer nach.
„Und wer weiß, wohin er uns führt, ihr Blinden? Alle können nicht befehlen. Er wird schon wissen, welcher Weg besser und näher ist! Durchbrechen wir den Dornenstrauch!“
Sie stürzten sich darauf und schlugen eine Bresche.
„A-jaoj!“ zeterte einer, dem ein Dorn in die Hand stach, und ein anderer, dem ein Brombeerzweig ins Gesicht peitschte.
„Ohne Mühe, mein Bruder, gibt es nichts. Man muß sich ein bißchen anstrengen, wenn man etwas erreichen will“, antworteten die Mutigsten.
Nach manchen Anstrengungen hatten sie den Dornenstrauch durchbrochen und zogen weiter.
Eine Zeitlang schleppten sie sich dahin, bis sie auf Holzpfähle stießen.
Auch diese warfen sie um und zogen drüberweg.
An diesem Tag kamen sie nur langsam voran, denn sie hatten noch einige ähnliche kleinere Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und dies bei magerer Kost; der eine hatte nur trockenes Brot und etwas Käse bei sich, der andere nur Brot, um wenigstens ab und zu den Hunger zu stillen. Und mancher hatte nicht einmal Brot. Gott gab die Sommerzeit dazu, und man fand wenigstens hier und da einen Obstbaum.
Obwohl sie, wie gesagt, am ersten Tag nur eine kleine Strecke zurückgelegt hatten, verspürten sie am Abend große Müdigkeit. Besondere Gefahren drohten nicht, auch Unfälle hatte se nicht gegeben. Selbstverständlich kamen bei einem so großen Unternehmen auch Kleinigkeiten vor:
Einer Frau war ein Dornenzweig ins linke Auge gefahren, sie hatte einen feuchten Lappen darumgewickelt.
Ein Holzpfahl schlug auf das Beinchen eines Kindes, es hinkte und jammerte.
Ein Greis stolperte über einen Brombeerstrauch, er fiel und verstauchte sich den Fuß. Ihm wurde eine geriebene Zweibel aufgelegt, er ertrug tapfer den Schmerz und humpelte mutig weiter, auf den Stock gestützt, dem Führer nach. (Viele behaupteten zwar, der Alte lüge, er habe sich gar nicht den Fuß verstaucht, sondern er verstelle sich nur, um zurückkehren zu können.)
Schließlich waren es wenige, die keinen Dorn im Arm oder das Gesicht nicht zerkratzt hatten… Die Männer ertrugen es heldenhaft, die Fraün dagegen verfluchten die Stunde des Aufbruchs, und die Kinder, wie Kinder nun einmal sind, weinten natürlich, denn sie begriffen noch nicht, daß diese Qualen und Schmerzen reich belohnt werden würden.
Zum Glück und zur Freude aller passierte dem Führer nichts. Er, wenn wir ehrlich sein wollen, wurde allerdings auch am meisten beschützt, aber – wahrhaftig – der Mann hatte Glück.
Auf dem ersten Nachtlager beteten sie und dankten Gott, daß sie den ersten Tag glücklich überstanden hatten und daß ihrem Führer nichts, auch nicht das kleinste Übel, zugestoßen war. Da nahm einer aus der Gruppe der Mutigsten das Wort. Über sein Gesicht lief eine Strieme, die vom Brombeerbusch herrührte, aber er achtete nicht darauf:
„Brüder!“ begann er, „nun haben wir, Gott sei Dank, einen Tag glücklich hinter uns. Der Weg ist nicht leicht, aber wir müssen tapfer alle Hindernisse überwinden, denn wir wissen, daß uns dieser qualvolle Weg zu unserem Glück führt. Möge unser allmächtiger Gott den Führer vor jedem Übel bewahren, damit er uns auch weiterhin so erfolgreich führen kann!…“
„Morgen werde ich, wenn das so weiter geht, auch noch mein zweites Auge verlieren!“ brummte die Frau zornig vor sich hin.
„Ach, au, mein Bein!“ schrie der Alte auf, ermutigt durch die Bemerkung der Frau.
Die Kinder piepsten unentwegt und weinten. Und die Mütter beschwichtigten sie, um die Worte des Redners zu hören.
„Ja, du wirst auch das zweite Auge verlieren“, fuhr der Redner auf, „und wenn du beide verlierst…! Was bedeutet es, wenn eine Frau die Augen für eine so große Sache opfert. Schande! Denkst du nicht an das Gute und an das Glück deiner Kinder? Und wenn die Hälfte von uns für diese Sache zugrunde geht – was macht’s! Was ist schon ein Auge. Wozu brauchst du denn die Augen, wenn jemand da ist, um für uns zu sehen und uns zu unserem Glück zu führen? Sollen wir vielleicht wegen deines Auges und wegen der Beine des Alten unser großes Unternehmen aufgeben?“
„Er lügt, der Alte! Der Alte lügt! Er verstellt sich nur, damit er umkehren kann!“ hörte man Stimmen von allen Seiten.
„Brüder, wer nicht mehr mitmachen will“, meldete sich wieder der Redner, „der soll umkehren, anstatt zu jammern und die übrigen aufzuhetzen. Ich jedenfalls, ich werde diesem klugen Führer folgen, solange ich lebe.“
„Alle werden wir folgen, alle ihm, bis an unser Lebensende.“
Der Führer schwieg.
Die Leute begannen ihn wieder zu mustern und flüsterten:
„Er schweigt nur und denkt!“
„Ein weiser Mensch!“
„Sieh dir seine Stirn an!“
„Und immer dieser umdüsterte Blick!“
„Ernst!“
„Mutig ist er, das sieht man an allem.“
„Mutig!“
„Laßt ihn: Zaun, Holzpfähle, Sträucher, alles riß er nieder.“
„Er klopft nur so finster mit dem Stock und spricht nichts!“
„Sei still, wirst sehen, wie du ohne ihn weiterkommst!“
Der Führer (1/3)
„Brüder und Freunde, ich habe mir all eure Reden angehört. Nun bitte ich euch, hört mir zu.
Alle unsere Beratungen und Gespräche führen zu nichts, solange wir in diesen unfruchtbaren Gegend bleiben wollen. Auf diesem sandigen Boden und auf diesen Steinen ist bisher nichts Rechtes gediehen, nicht einmal, wenn wir Regenjahre hatten, geschweige denn bei solcher Dürre, wie sie vermutlich niemand von uns bisher erlebt hat.
Wie oft werden wir uns noch so zusammenfinden und ins Leere reden? Unser Vieh ist verreckt an Futtermangel, und es fehlt nicht viel, dann werden auch wir mitsamt unseren Kindern verhungern. Wir müssen eine andere, bessere und klügere Lösung finden. Ich denke, er wäre am besten, wir verlassen diese unfruchtbare Gegend und ziehen in die weite Welt, um einen besseres und fruchtbareres Land zu suchen, denn so können wie nicht länger leben.“
So sprach auf einer Versammlung mit müder Stimme einer der Bewohner jener unfruchtbaren Gegend. Wo und wann sich das zugetragen hat, das – denk ich – geht weder euch noch mich etwas an. Die Hauptsache ist, ihr glaubt mir, daß dies irgendwo und irgendwann in irgendeinem Land wirklich geschehen ist – und das genügt. Früher meinte ich nämlich, ich hätte diese ganze Geschichte erdichtet, aber nach und nach befreite ich mich von diesem schrecklichen Irrtum, und heute bin ich fest davon überzeugt, daß all dies, was ich jetzt erzählen werde, irgendwann einmal stattgefunden hat und stattfinden mußte und daß ich diese Geschichte niemals hätte erfinden können.
Die Zuhörer des Mannes – blasse, abgezehrte Gesichter, mit stumpfem, trübem, austruckslosem, fast bewußtlosem Blick, die Hände unter dem Gürtel – schienen nach diesen klugen Worten aufzuleben. Jeder sah sich schon in einer zauberhaften, paradiesischen Landschaft, wo die mühelvolle Arbeit mit reicher Ernte belohnt werden würde.
„Er hat recht – recht hat er…“ begannen die erschöpften Stimmen von allen Seiten zu raunen.
„Ist es nahe?“ hörte man ein gedehntes Flüstern aus einer Ecke.
„Brüder!“ fing ein anderer mit etwas kräftigerer Stimme zu sprechen an. „Wir müssen diesem Vorschlag sofort folgen, so geht es einfach nicht mehr weiter! Wir haben geschuftet und wir haben uns gequält, und trotzdem war alles umsonst. Wir haben uns das Getreide vom Munde abgespart und haben gesät. Aber dann kam die Flut und schwemmte alles weg, Samen und Erde von der zerklüfteten Berghängen, so daß nur der nackte Stein übrigblieb. Sollen wir hier ewig ausharren, von früh bis spät uns abrackern und dennoch hungrig und durstig, nackt und barfuß bleiben? Wir müssen aufbrechen und einen besseren und fruchtbareren Boden suchen, wo unsere mühsame Arbeit mit reicher Frucht belohnt wird.“
„Laßt uns gehen, laßt uns sofort gehen, hier läßt es sich nicht mehr leben!“ erhob sich ein Geflüster und die Masse zerstreute sich, ohne zu wissen wohin.
„Halt, Brüder! Wo wollt ihr hin?“ fing der erste Redner wieder an. „Freilich sollten wir fortziehen, aber so geht das nicht. Wir müssen genau wissen, wohin wir wollen, sonst kommen wir, anstatt uns zu retten, vom Regen in die Traufe. Ich schlage vor , daß wir einen Führer wählen, dem wir alle zu gehorchen haben und der uns den rechten, besten und nächsten Weg führt.“
„Wählen, ja, sofort wählen!“ hörte man von allen Seiten. Es entstand ein allgemeines Durcheinanderreden, ein richtiger Tumult. Jeder sprach, und keiner hörte dem andern zu, noch hätte auch einer den andern verstehen können.
Dann begannen sie sich in kleine Gruppen aufzuspalten; jeder murmelte etwas vor sich hin. Auch diese kleinen Gruppen lösten sich auf, man nahm sich an der Hand, immer zwei und zwei, jeder spricht auf den anderen ein und versucht ihm etwas zu beweisen, zieht ihn am Ärmel und legt ihm die Hand auf den Mund. Und wiederum trafen alle zusammen und wiederum sprachen alle.
„Brüder!“ übertönte eine stärkere Stimme alle anderen heiseren, stumpfen Stimmen. „So kommen wir nicht weiter, alle sprechen durcheinander und keiner hört auf den anderen. Wir wollen einen Führer wählen! Wen könnten wir unter uns wählen? Wer unter uns ist so weit gereist, daß er die Wege kennt? Wir kennen uns alle gut, und dennoch würde ich mich mit meinen Kindern keinem einzigen hier auf dieser Versammlung anvertraün. Sagt mir lieber, wer kennt diesen Wanderer dort, der schon seit heute früh im Schatten am Wege sitzt?“
Es entstand eine Stille, alle wandten sich dem Unbekannten zu und musterten ihn von Kopf bis Fuß.
Jener Mann mittleren Alters, ein gebräuntes Gesicht, das vor lauter Haaren und Bart kaum zu sehen was, saß, schwieg wie bisher und klopfte – wie in Gedanken vertieft – von Zeit zu Zeit mit seinem dicken Wanderstab auf die Erde.
„Gestern habe ich denselben Mann mit einem Jungen gesehen, sie führten sich an der Hand und gingen des Weges. Und gestern am Abend ging der Junge durchs Dorf auf und davon. Der Wanderer aber blieb hier.“
„Brüder! – Laßt diese Kleinigkeiten und Narreteien, wir wollen keine Zeit verlieren. Wer er auch sei, er ist ein Wanderer von weit her. Wenn ihn auch keiner von uns kennt, sicher kann er uns den nächsten und besten Weg weisen. Wie ich ihn einschätze, scheint denkt fortwährend. Ein anderer würde sich bis jetzt schon zehnmal vorlaut eingemischt oder mit irgend jemand ein Gespräch angeknüpft haben, aber er sitzt die ganze Zeit über allein da und schweigt.“
„Natürlich, der Mann schweigt und sinnt über etwas nach. Es kann ja nicht anders sein. Bestimmt ist er sehr klug“, folgerten schließlich auch die anderen. Sie begannen den Fremden von allen Seiten zu mustern, jeder entdeckte an ihm und seinem Äußeren eine andere glänzende Eigenschaft, viele einen Beweis seiner außergewöhnlichen Klugheit.
Es wurde nicht viel Zeit mit Gesprächen zugebracht, und alle einigten sich, es wäre am besten, diesen Wanderer, den ihnen, wie sie sagten, Gott selbst geschickt hatte, zu bitten, sie in die Welt mitzunehmen, um ein besseres Land und einen fruchtbareren Boden zu suchen; er solle ihr Führer sein. Sie wollten sich ihm unterwerfen und ihm bedingungslos folgen.
Sie suchten aus ihrer Mitte zehn Männer aus, die zu dem Fremden gehen sollten, um ihm die Beschlüsse der Versammlung vorzutragen. Sie sollten ihm ihre elenden Verhältnisse schildern und ihn bitten, sich als Füherer ihrer anzunehmen.
So gingen denn zehn, beugten sich demütig vor dem klugen Fremden, und einer von ihnen begann, von dem unfruchtbaren Boden ihres Landes zu sprechen, von den trockenen Jahren und dem Elend, in dem sie sich befanden; er schloß folgendermaßen:
„Diese Umstände zwingen uns, unsere Gegend und unsere Häuser zu verlassen und in die Welt zu ziehen, um eine bessere Heimat zu suchen. Ausgerechnet in diesem Moment, wo wir auf einen so glücklichen Gedanken gekommen sind, scheint sich auch Gott unser zu erbarmen, indem er dich, weiser und vorbildlicher Fremder, zu uns sandte, damit du uns führst und vom Elend erlöst. Wir bitten dich, im Namen aller Einwohner, unser Führer zu sein. Wohin du auch gehen magst, wir folgen dir. Du kennst die Wege und bist wohl auch in einer glücklicheren und besseren Heimat geboren. Wir werden dir gehorchen und uns jedem deiner Befehle beugen. Willst du, weiser Fremder, dich bereit erklären, so viele Seelen vor dem Untergang zu retten, willst du unser Führer sein?“
Der weise Fremde hob während dieser rührenden Rede nicht einmal den Kopf. Er blieb bis zuletzt in derselben Haltung, in der sie ihn vorgefunden hatten: Mit gesenktem Kopf, finster, schweigsam, klopfte er nur hin und wieder mit dem Stock auf den Boden. – Er denkt.
Als die Rede zu Ende war, stieß er kurz und langsam durch die Zähne, ohne dabei die Haltung zu ändern:
„Ich will!“
„Können wir uns also mit dir auf den Weg machen und nach einem besseren Land suchen?“
„Könnt ihr!“ sagte der weise Fremde, ohne den Kopf zu heben.
Jetzt erhob sich Begeisterung und Dank, aber auch daraufhin ließ der Weise kein einziges Wort verlauten.
Die zehn teilten der Versammlung den Erfolg mit und rühmten die Klugheit, die – wie sie erst jetzt richtig gesehen hätten – in ihm steckte.
„Er rührte sich überhaupt nicht vom Fleck, hob nicht einmal den Kopf, um wenigstens zu sehen, wer mit ihm sprach. Er schwieg nur und dachte nach; auf all unsere Reden und Dankesbeteürungen hat er kaum zwei Worte erwidert.“
„Ein richtiger Weiser!“ „Eine seltene Klugheit!“ riefen sie voll Freude von allen Seiten und behaupteten, der Herrgott selbst habe ihn als Engel vom Himmel herabgesandt, um sie zu retten. Jeder glaubte fest an den Erfolg unter der Führung eines solchen Mannes, den nichts auf der Welt aus dem Konzept bringen konnte.
So wurde auf der Versammlung beschlossen, noch am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang aufzubrechen.
The Leader (3/3)
(Previous)
Thus the first day passed, and there followed more days with the same success. Nothing of very great importance happened, only trivial occurrences: they tumbled headfirst into a ditch, then into a ravine; they brushed against hedges and blackberry bushes; they stepped on bottles; several broke arms and legs; some suffered blows on the head. But all this torment was endured. A few old men were left lying dead on the road. “They would have died even if they had stayed at home, not to mention on the road!” the spokesmen said, encouraging the others to continue. A few smaller children, one to two years old, also perished. The parents stoically suppressed their heartaches because it was God’s will. “And the smaller the children, the less the grief. When they are younger the sorrow is less. God grant the parents never lose their children when they have reached the marrying age. If the children are so destined, it’s better that they die early. Then the sorrow is not so great!” the spokesmen consoled them again. Some wrapped cloths around their heads and put cold compresses on their bruises. Others carried their arms in slings. All were ragged and cut up. Their clothes hung in shreds, but they nevertheless pushed happily forward. All this would have been easier to bear if they had not been racked with hunger many times over. But they had to keep going.
One day, something more significant happened.
The leader was walking in front, surrounded by the bravest men in the group. (Two of them were missing, and no one knew where they were. It was the general opinion that they had betrayed their cause and fled. On one occasion the spokesman said something about their shameful treason. Only a few believed the two had died on the way, but they did not voice their opinion in order not to arouse the others.) The rest of the group was in line behind them. Suddenly there appeared an exceedingly large and deep, rocky gorge – a real abyss. The slope was so steep that they did not dare take a step forward. Even the bravest ones stopped short and looked at the leader. Frowning, absorbed in thoughts with his head down, he boldly stepped forward, tapping his cane in front, first to the right, then to the left, in his characteristic way. Many said it all made him seem still more dignified. He neither looked at anyone nor said anything. On his face there was no change of expression or trace of fear as he got nearer and nearer to the precipice. Even the very boldest men became pale as death, but no one dared warn the valiant, wise leader. Two more steps and he was at the edge. In morbid fear and with wide open eyes, they all trembled. The bravest men were just on the point of holding the leader back, even if it meant a breach of discipline, when he stepped once, twice, and plunged into the ravine. There arose bewilderment, wailing, screaming; fear got the upper hand. Some began to flee.
– Hold it, brothers! What’s the hurry? Is this the way you keep your word? We must follow this wise man because he knows what he’s doing. He would be insane to ruin himself. Forward, after him! This is the biggest and perhaps the last hazard, the last hurdle. Who knows? Maybe on the other side of this ravine we’ll find a magnificient, fertile land which God meant for us. Forward! Without sacrifice, we’ll get nowere! – such were the spokesman’s words of advice and he too took two steps forward, disappearing into the ravine. The bravest followed and then everyone else plunged in.
There was wailing, groaning, tumbling, moaning on the steep slope of this vast gorge. One would have sworn that no one would ever get out alive, much less unhurt and in one piece, but human life is tenacious. The leader was unusually lucky. He hung onto bushes as he fell so that he was not hurt. He managed to pull himself together and climb out. While wailing, moaning and weeping resounded below, he sat motionless, pensively silent. A few who were battered and angry began to curse him but he paid no heed. Those who luckily were able to hold of a bush or a tree while falling began trying strenuously to climb out. Some had cracked heads so that blood was gushing out of their faces. There was nobody in one piece except the leader. They all suddenly frowned at him and groaned in agony but he did not even lift his head. He was silent and assumed the reflective pose of a real sage!
Some time passed. The number of travelers was becoming smaller and smaller. Each day took its toll. Some left the group and turned back.
Of the large number that started, only about twenty remained. Their haggard, exhausted faces mirrored signs of despair, doubt, fatigue and hunger, but no one said as much as a word. They were as silent as their leader and kept plodding along. Even the spirited spokesman shook his head desperately. The road was difficult indeed.
Their numbers diminished daily until there were only ten. With despondent faces, they only groaned and complained instead of conversing.
They looked more like cripples than men. Some were on cruthces. Some held their arms in slings fastened around their necks. On their hands were numerous bandages and compresses. Even if they had wanted to make new sacrifices, they could not because there was almost no room on their bodies for any new wounds.
Even the strongest and bravest among them had already lost faith and hope but they still struggled farther; that is, they somehow hobbled along with great effort, complaining, racked with pain. What else could they do if they could not go back? So many sacrifices and now to abandon the journey?
Twilight descended. Limping along on crutches, they suddenly saw that the leader was not in front of them anymore. Another step and they all plunged into another ravine.
– Oh, my leg! Oh, my hand! – resounded the wailing and groaning. One weak voice even cursed the worthy leader but then became silent.
When the sun came up, there sat the leader, the same as on that day when he was chosen. There was not the least change in his appearance.
The spokesman climbed out of the ravine, followed by two others. Disfigured and bloody, they turned around to see how many were left, but they were the only ones. Deathly fear and hopelessness filled their hearts. The region was unknown, hilly, rocky – no paths anywhere. Two day before they had come upon a road but left it behind. The leader led them that way.
They thought about the many friends and relatives who had died on this fantastic trip. A sadness stronger than the pain in their crippled limbs overcame them. They had witnessed their own destruction with their own eyes.
The spokesman went up to the leader and began speaking with a tired, trembling voice full of pain, despair and bitterness.
– Where are we going now?
The leader was silent.
– Where are you taking us and where have you brought us? We placed ourselves and our families in your hands and we followed you, leaving behind our homes and our ancestors’ graves in hopes that we could save ourselves from ruin in that barren land. But you have ruined us in a worse way. There were two hundred families behind you and now look how many there are!
– You mean everyone is not here? – mumbled the leader without lifting his head.
– How can you ask such a question? Look up and see! Count how many of us are left on this unfortunate journey! Look at the shape we’re in! It would be better to have died than to be crippled like this.
– I can’t look at you!
– Why not?
– I’m blind.
A dead silence.
– Did you lose your sight during the journey?
– I was born blind!
The three hung their heads in despair.
The autumn wind blew sinisterly through the mountains and brought down the withered leaves. A fog hovered over the hills, and through the cold, misty air fluttered ravens’ wings. An ill-omened cawing resounded. The sun was concealed behind the clouds, which were rolling and hurrying along farther and farther.
The three looked at each other in utter horror.
– Where can we go now? – mumbled one gravely.
– We don’t know!
Source: Vučković, Tihomir (ed.), A Millenium of Serbian Literature, Centre of Emigrants of Serbia, Belgrade 1999, 127–135. Translated by W. Murray Lineker.
The Leader (2/3)
(Previous)
On the next day everyone who had the courage to go on a long journey assembled. More than two hundred families came to the appointed place. Only a few remained at home to look after the old homesite.
It was indeed sad to look at this mass of miserable people whom bitter misfortune had forced to forsake the land in which they were born and in which lay the graves of their ancestors. Their faces were haggard, worn-out and sunburned. The suffering of many long laborious years showed its effect on them and conveyed a picture of misery and bitter despair. But in this very instant there was seen the first glimmer of hope – mixed with homesickness to be sure. A tear flowed down the wrinkled face of many an old man who sighed desperately and shook his head with an air of evil foreboding. He would rather remain for some time so that he too could die among these rocks instead of looking for a better homeland. Many of women lamented loudly and bade farewell to their dead loved ones whose graves they were leaving.
The men were trying to put up a brave front and were shouting, – Well, do you want to keep on starving in this damned land and living in these shacks? – Actually they would have liked the best of all to take the whole cursed region with them with them if it had been possible.
There was the usual noise and shouting as in every mass of people. Both men and women were restless. The children were shrieking in cradles on their mothers’ backs. Even the livestock were a bit uneasy. There were not too many cattle, a calf here and there and then a lean, shaggy hack with a large head and fat legs on which they were loading old rugs, bags and even two sacks over the pack saddle, so that the poor animal swayed under the weight. Yet it managed to stay up and neigh from time to time. Others were loading donkeys; the children were pulling at dogs on leashes. Talking, shouting, cursing, wailing, crying, barking, neighing – all abounded. Even a jackass brayed a few times. But the leader did not utter a word, as if the whole affair were none of his business. A real wise man!
He just sat pensively and silently, with his head down. Now and then he spat; that was all. But on account of his strange behavior, his popularity grew so much that all would have gone through fire and water, as they say, for him. The following conversations could be heard:
– We should be happy to have found such a man. Had we gone ahead without him, God forbid! We would have perished. He has real intelligence, I tell you! He’s silent. He hasn’t sait a word yet! – said one while looking at the leader with respect and pride.
– What should he say? Whoever talks a lot doesn’t think very much. A smart man, that’s for sure! He only ponders and says nothing, – added another, and he too looked at the leader with awe.
– It’s not easy to lead so many people! He has to collect his thoughts because he’s got a big job on his hands, – said the first again.
The time came to get started. They waited awhile, however, to see if anyone else would change his mind and come with them, but since no one came, they could not linger any longer.
– Shouldn’t we get going? – they asked the leader.
He got up without saying a word.
The most courageous men immediately grouped around him to be at hand in case of danger or an emergency.
The leader, frowning, his head down, took a few steps, swinging his cane in front of himself in a dignified fashion. The gathering moved along behind him and shouted several times, “Long live our leader!” He took a few more steps and bumped into the fence in front of the village hall. There, naturally, he stopped; so the group stopped too. The leader then stepped back a bit and rapped his cane on the fence several times.
– What do you want us to do? – they asked.
He said nothing.
– What should we do? Tear the fence down! That’s what we’re to do! Don’t you see that he’s shown us with his cane what to do? – shouted those who stood around the leader.
– There is the gate! There is the gate! – screamed the children and pointed at the gate which stood opposite them.
– Hush, quiet, children!
– God help us, what’s going on? – a few women crossed themselves.
– Not a word! He knows what to do. Tear the fence down!
In an instant the fence was down as if it had never been there.
They went past the fence.
Scarcely had they gone a hundred steps when the leader ran into a large thorn bush and stopped. With great difficulty he managed to pull himself out and then began tapping his cane in all directions. No one budged.
– And what’s the matter now? – shouted those in the rear.
– Cut the thorn bush down! – cried the ones standing around the leader.
– There’s the road, behing the thorn bushes! There it is! – screamed the children and even many people in the back.
– There’s the road! There’s the road! – jeered those around the leader, mimicking angrily. – And how can we blind men know where he’s leading us? Everyone can’t give orders. The leader knows the best and most direct route. Cut down the thorn bush!
They plunged in to clear the way.
– Ouch, – cried someone who was stuck in the hand by a thorn and someone else whose face was struck by a blackberry branch.
– Brothers, you can’t have something for nothing. You have to strain yourselves a bit to succeed, – answered the bravest in the group.
They broke through the bush after much effort and moved forward.
After wandering along a little further, they came upon a buch of logs. These, too, were thrown to the side. Then they continued.
Very little ground was covered on the first day because they had to overcome several, similar obstacles. And all this on little food because some had brought only dried bread and a little cheese while others had only some bread to satisfy their hunger. Some had nothing at all. Fortunately it was summertime so that they found a fruit tree here and there.
Thus, although on the first day only a small stretch lay behind them, they felt very tired. No great dangers turned up and there were no accidents either. Naturally in such a large undertaking the following events must be considered trifles: a thorn stuck one woman’s left eye, which she covered with a damp cloth; one child bawled and limped into a log; an old man tripped over a blackberry bush and sprained his ankle; after ground onion was put on it, the man bravely endured the pain and, leaning on his cane, limped forward valiantly behind the leader. (To be sure, several said that the old man was lying about the ankle, that he was only pretending because he was eager to go back.) Soon, there were only a few who did not have a thorn in their arm or a scratched face. The men endured it all heroically while the women cursed the very hour they departed and the children cried, naturally, because they did not understand all this toil and pain would be richly rewarded.
Much to everyone’s happiness and joy, nothing at all happened to the leader. Frankly, if we are to tell the truth, he was very much protected, but still, the man was simply lucky. At the first night’s campsite everyone prayed and thanked God that the day’s journey was successful and that nothing, not even the slightest misfortune, had befallen the leader. Then one of the bravest men began to speak. His face had been scratched by a blackberry bush, but he simply paid no attention to it.
– Brothers, – he began. – One day’s journey lies successfully behind us, thank God. The road is not easy, but we’ve got to stick it out because we all know that this difficult road will lead us to happiness. May almighty God protect our leader from any harm so that he may continue to lead us successfully.
– Tomorrow I’ll lose my other eye if things go like today! – one of the women uttered angrily.
– Ouch, my leg! – the old man cried, encouraged by the woman’s remark.
The children kept on whining and crying, and the mothers had a hard time silencing them so that the spokesman could be heard.
– Yes, you’ll lose your other eye, – he burst out in anger, – and may you lose both! It’s no big misfortune for one woman to lose her eyes for such a great cause. For shame! Don’t you ever think about the well-being of your children? Let’s half of us perish in this endeavor! What difference does it make? What’s one eye? Of what use are your eyes when there’s someone who’s looking for us and leading us to happiness? Should we abandon our undertaking merely on account of your eye and the old man’s leg?
– He’s lying! The old man’s lying! He’s only pretending so he can go back, – resounded voices from all sides.
– Brothers, whoever doesn’t want to go any farther, – said the spokesman again, – let him go back instead of complaining and stirring up the rest of us. As far as I’m concerned, I am going to follow this wise leader as long as there’s anything left in me!
– We’ll all follow! We’ll all follow him as long as we live!
The leader was silent.
Everyone began looking at him and whispering:
– He’s absorbed in his thoughts!
– A wise man!
– Look at his forehead!
– And always frowning!
– Serious!
– He’s brave! That’s seen in everything about him.
– You can say that again! Fence, logs, briars – he plows through it all. He somberly taps his cane, saying nothing, and you must guess what he has in mind.
(Next)
